Neue Regeln für Recycling von Schiffen

„Das Thema Asbest wird leider generell unterschätzt“

Beim Recycling von Schiffen sind künftig detaillierte Schadstofflisten Pflicht. Was dies für Reeder bedeutet, erklärt Henning Gramann von GSR Services im Experten-Interview.

Green Shipping News: Die Schiffe der deutschen Handelsflotte sind überwiegend in sehr gutem Zustand. Warum ist „Green Ship Recycling“ für deutsche Reeder trotzdem ein wichtiges Thema?

Henning Gramann: Das Recycling von Schiffen wird in erster Linie von der „EU Ship Recycling Regulation“, die bereits in Kraft ist, und von der „Hongkong-Konvention“ geregelt. Analog zu anderen Industrien wurde bei den Entwicklungen dieser Abkommen die Notwendigkeit erkannt, bereits bei der Entstehung von Schiffen mit der Erfassung von verbauten Schadstoffen zu beginnen – dies betrifft also Zulieferer und den Schiffbau. Das schiffsspezifische Gefahrstoffkataster, die „Inventory of Hazardous Materials“ (IHM), ist initial und dann mindestens alle fünf Jahre zu zertifizieren.

Das bedeutet, dass nach der Erstellung die Aufgabe der Pflege auf den Reeder zukommt. Hier ist es wichtig, dass entsprechende Aspekte in die bestehenden Organisationen integriert werden, damit der Pflegeaufwand nicht zu hoch ausfällt. Gegen Lebensende eines Schiffes, was heutzutage aufgrund der Krise in Einzelfällen bereits nach zwölf Jahren eintritt, ist die IHM zur Identifizierung eines geeigneten Recyclers und zur Recyclingplanung zu verwenden.

Green Shipping News: Zum Abwracken werden die meisten Schiffe derzeit nach Südasien gebracht. Hinsichtlich der Umwelt- und Sozialstandards haben diese Standort allerdings einen eher schlechten Ruf. Ist dies noch immer gerechtfertigt, oder gibt es hier inzwischen auch positive Entwicklungen?

Henning Gramann: Wir von GSR Services unterstützen verschiedene Schiffsrecycler in Indien aktiv bei der Umsetzung der Hongkong-Konvention der IMO. Dies sind Projekte mit einer Laufzeit von jeweils einem Jahr. Sprichwörtlich haben wir diese Betriebe auf den Kopf gestellt und vollständig neu strukturiert – dies betrifft die betriebliche Infrastruktur, Organisation und Verantwortlichkeiten, Ausbildung, Risikomanagement, präventive Maßnahmen, persönliche Schutzausrüstung, Notfallmanagement, Dekontaminationstechniken und die Handhabung von Abfällen sowie viele weitere Details. Im Herbst 2015 wurden die ersten vier Recycler am Standort Alang zertifiziert, drei weitere stehen kurz davor und weitere zwölf Anlagen werden derzeit von uns unterstützt.

Die Schaffung dieser „grünen Recyclingkapazität“ sehen wir als äußerst wichtig an, um vertretbare Alternativen für Eigner zu schaffen, ohne hierbei eine Monopolstellung einzelner Betriebe zu fördern. Wir arbeiten dabei eng mit der Klassifikationsgesellschaft ClassNK und mit NKCS (ClassNK Consulting Service) zusammen, die einen sehr akkuraten Ansatz verfolgen und sich der politischen Brisanz bewusst sind. Demnach werden Zertifikate erst dann ausgestellt, wenn ClassNK wirklich überzeugt ist von der Einhaltung und Umsetzung der Hongkong-Konvention. Das entspricht auch unseren Ansprüchen und unserer Arbeit. Denn leider ist es nun einmal so, dass die allgemeine ISO-Zertifikatsflut in den Recyclingländern häufig nicht die Realität widerspiegelt.

Kurzum, ja, in Asien hat sich sehr viel getan, zumindest in Indien wo wir von derzeit etwa 20 „guten Schiffsrecyclern“ sprechen können. Insgesamt existieren dort jedoch etwa 130 Betriebe. Dementsprechend möchten wir hier ungern pauschalisiert über Länder reden, sondern eher über individuelle Recyclingbetriebe. In Pakistan und Bangladesch konnten wir bisher leider keine systematische Verbesserung feststellen. Natürlich gibt es auch dort Unterschiede, aber das allgemeine Niveau des indischen Standorts Alang ist dort nicht zu finden.

Green Shipping News: Ist das von der IMO verabschiedete Hongkong-Übereinkommen insgesamt ein wirksames Mittel, um die Zustände auf globaler Ebene zu verbessern?

Henning Gramann: Definitiv ja. Es mag zwar sein, dass die Hongkong-Konvention („Hong Kong International Convention for the Safe and Environmentally Sound Recycling of Ships“, kurz HKC) derzeit nicht perfekt ist. Aber zunächst geht es darum, eine praktikable rechtliche Basis zu schaffen. An Details kann nach dem Inkrafttreten gefeilt werden, so wie wir es von fast allen IMO-Konventionen kennen. Wäre die HKC von Beginn an zu restriktiv, würde sie vermutlich gar nicht in Kraft treten, da ausreichende Ratifizierungen unwahrscheinlich wären. Generell sind im globalen Schifffahrtsmarkt auch nur globale Regelwerke sinnvoll.

Green Shipping News: Die EU strebt eine noch weitergehende Verschärfung der Regeln an. Sind diese Maßnahmen eine sinnvolle Ergänzung zum Hongkong-Übereinkommen?

Henning Gramann: Der regionale Ansatz der EU soll zwar eine „Kopie der HKC“ sein. Es wurden jedoch Klauseln eingebaut, die aus rein politischen Gründen die sogenannte Beaching-Methode, wie sie auf dem indischen Subkontinent und in der Türkei angewendet wird, scheinbar ausschließen – wobei die Türkei ihre Methode „Landing“ nennt, was ein besseres Image besitzt, obwohl de facto identisch mit „Beaching“. Es ist derzeit leider absehbar, dass mehr als 90 Prozent der derzeit verwendeten globalen Recyclingkapazität für EU-geflaggte Recyclingschiffe wohl nicht legal nutzbar sein werden, da die EU die entsprechenden Standorte nicht autorisieren wird. Ich würde mich freuen, wenn ich mit meiner Einschätzung falsch liege, da erhebliche Fortschritte in Indien gemacht wurden und werden und neben dem reinen Arbeits- und Umweltschutz auch soziale Aspekte eine Rolle spielen sollten.

Eine globale Regelung ist in jedem Fall vorzuziehen, da es einen internationalen Wettbewerb gibt. Bei regionalen Regelungen besteht immer die Gefahr einer Benachteiligung – wie in diesem Fall für EU-geflaggte Schiffe. Einige der zusätzlichen Anforderungen der EU im Bereich Schiffsrecycling gehen meines Erachtens leider an der Realität vorbei. Zum Beispiel wird insbesondere der Schutz der „intertidal zone“ gefordert – was die Beaching-Methode betrifft. Bei der für türkische Standorte relevanten „landing zone“ oder für die Flüsse Chinas ist dies nicht der Fall. Die Intention ist klar – auch wenn Brüssel politisch korrekt sagt, dass alle Schiffsrecycler autorisiert werden können, wenn die Vorgaben eingehalten werden.

Green Shipping News: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das sogenannte „Inventory of Hazardous Materials“?

Henning Gramann: Das IHM ist das zentrale Dokument für die Planung und Durchführung von sicherem und umweltgerechtem Recycling. Wenn die Präsenz von Gefahrstoffen wie Asbest, PCB, ozonabbauenden Substanzen, Schwermetallen etc. unbekannt ist, dann sind die Risiken für Mensch und Umwelt beim Recycling nicht mehr abschätzbar. Das trifft teilweise auch auf den Schiffsbetrieb zu, wo korrekte Informationen ebenfalls positiv genutzt werden und auch den Wert von Schiffen nachhaltig beeinflussen können.

Gerade im Bereich Neubau empfehlen wir, dass vor Ablieferung eine Asbestuntersuchung durchgeführt wird, damit sich die Reederei nicht ein teures Dekontaminationsobjekt in ihr Portfolio holt. Denn das stellt die gesamte Kalkulation infrage, da solche Maßnahmen in bereits eingetretenen Fällen mehrere Wochen dauern und sehr hohe Summen verschlingen können. Das Thema Asbest wird leider generell unterschätzt, auch von vielen Klassifikationsgesellschaften. Gerne baut man auf eine „Asbestfreiheitsbescheinigung“ der Bauwerft, wie per SOLAS gefordert. Doch in vielen Ländern gehört Asbest noch zum Produktionsalltag und wird nicht deklariert. Dementsprechend wissen viele gar nicht, dass gewisse Produkte asbesthaltig sind und erstellen Bescheinigung „nach bestem Wissen und Gewissen“.

Green Shipping News: Das Mitführen eines IHM an Bord ist erst ab dem 31.12.2020 für alle Schiffe unter europäischer Flagge und für jene Schiffe, die einen europäischen Hafen anlaufen, verpflichtend. Heißt das also, dass sich die Reedereien ruhig noch etwas Zeit lassen können?

Henning Gramann: Wir haben uns die Zahlen einmal genauer angesehen. In den verbleibenden vier Jahren müssen noch etwa 30.000 IHMs erstellt und zertifiziert werden. Die existierenden Kapazitäten der sogenannten IHM-Experten, die spezifisch ausgebildet sind und effiziente IHM-Erstellungen anbieten, belaufen sich auf knapp 400 IHMs pro Jahr. Selbst bei einer jährlichen Verdopplung oder Verdreifachung dieser Kapazität wird es nicht möglich sein, dass alle Schiffe bis zur Deadline eine IHM erhalten.

Trotz der signifikanten Schifffahrtskrise rate ich dazu, für Schiffe, die 2020 noch ganz sicher in Fahrt sein werden, die IHM-Erstellung in die Budgetplanungen für das kommende Jahr, spätestens aber für 2018 mit aufzunehmen. Die EU hat bereits signalisiert, dass sie keinen weiteren Aufschub gewähren wird, da sie einen Zeitraum von sieben Jahren zwischen Inkrafttreten und IHM-Deadline für ausreichend hält. Sollte dennoch eine Verlängerung gewährt werden, dann sicher nur auf individueller Basis und gegen Gebühr, die man sich bei guter Planung sparen kann. Hinzu kommt, dass Angebot und Nachfrage auch bei den IHMs den Preis bestimmen. Derzeit sind IHMs noch günstig zu bekommen, da kaum Nachfrage vorhanden ist. Da sich dies in Zukunft umkehren wird, gehe ich von einer Preissteigerung aus.

Henning Gramann ist Geschäftsführer der GSR Services GmbH und seit vielen Jahren ein international gefragter Experte zum Thema Green Ship Recycling. Weitere Informationen unter: www.gsr-services.com

Hintergrund-Informationen zum Thema gibt es auch auf der Website des MARIKO (Maritimes Kompetenzzentrum) in Leer: www.mariko-leer.de/news/shiprecycling