Reeder sprechen von Fortschritt, Aktivisten sehen ein Versagen. Fest steht: Die Schifffahrt hinkt beim Klimaschutz hinterher. Regionale Lösungen werden damit wahrscheinlicher.
Im April 2018 hatten sich die Mitglieder der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO auf Klimaziele geeinigt. Schon jetzt, anderthalb Jahre später, scheint das Einhalten dieser Ziele aber kaum noch möglich zu sein. In einer virtuellen Sitzung hat der IMO-Umweltausschuss MEPC (Marine Environment Protection Committee) in dieser Woche ein Maßnahmenpaket abgesegnet, das bereits im Vorfeld für massive Kritik gesorgt hatte.
Die Beschlüsse sehen eine Mischung aus technischen und operationellen Ansätzen zur Reduzierung der CO2-Emissionen von Schiffen vor. Eine verbindliche Annahme der Regelungen werde voraussichtlich auf der nächsten MEPC-Sitzung im Jahr 2021 erfolgen, hieß es in einer Mitteilung der UN-Sonderorganisation. IMO-Generalsekretär Kitack Lim räumte ein, dass noch „erhebliche weitere Arbeit zur Umsetzung der Maßnahmen“ bevorstehe, bezeichnete die Beschlüsse aber als „wichtige Bausteine“, die Diskussionen über mittel- und langfristige Maßnahmen erst ermöglichen würden.
Konkret sollen künftig nach einem Energy Efficiency Existing Ship Index (EEXI) sowohl für neue als auch für ältere Schiffe bestimmte Effizienzstandards gelten. Der Schiffsbetrieb soll über einen Carbon Intensity Indicator (CII) bewertet werden. Ob diese Regelungen für die einzelnen Schiffe aber den CO2-Ausstoß der Branche insgesamt reduzieren werden, zumal bei einer womöglich auch weiterhin wachsenden Flotte, ist jedoch fraglich. Vor wenigen Monaten hatte eine von der IMO selbst in Auftrag gegeben Studie gezeigt, dass die Emissionen der globalen Schifffahrt bis 2050 sogar um bis zu 50 Prozent zunehmen könnten.
Der Verband Deutscher Reeder (VDR) sprach dennoch von einem wesentlichen Fortschritt mit Blick auf den „Beitrag der Schifffahrt zum Kampf gegen den Klimawandel“. In einer Stellungnahme wurde erläutert, dass die Bewertung der CO2-Intensität von Schiffen in fünf Kategorien von A bis E erfolgen werde – wie bei Haushaltsgeräten. Schiffe, die in drei aufeinanderfolgenden Jahren nur mit D oder E bewertet würden, hätten einen Maßnahmen-Katalog zu erarbeiten.
Kritiker betonen allerdings, dass die Formulierungen sehr vieles offen ließen – und in der Praxis eher Stillstand zu erwarten sei. Die Umweltorganisation Nabu hatte vor Beginn der MEPC-Sitzung den bereits vorliegenden Beschlussvorschlag als einen „faulen Kompromiss“ bezeichnet. Es reiche nicht aus, „beim Erfüllen von Effizienzvorgaben allein auf Freiwilligkeit“ zu setzen, hieß es in einer Pressemitteilung. Die Anforderungen an den Schiffsbetrieb müssten verbindlich sein, „überwacht und im Falle von Verstößen auch sanktioniert werden“.
Noch vernichtender fiel die Bewertung von mehreren internationalen Umweltverbänden aus. „Wie von vielen Ländern in den Gesprächen bestätigt, bricht der beschlossene Vorschlag die ursprüngliche IMO-Treibhausgasstrategie auf drei entscheidende Arten“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von Pacific Environment, WWF und der Clean Shipping Coalition. Er werde die Emissionen nicht vor 2023 senken, die Emissionsspitze werde nicht so bald wie möglich erreicht, und es werde keine Grundlage dafür gelegt, die CO2-Emissionen der Schifffahrt mit den Zielen des Klimaabkommens von Paris in Einklang zu bringen.
„Die IMO hat die Genehmigung für ein Jahrzehnt mit steigenden Treibhausgasemissionen von Schiffen erteilt“, sagte Faig Abbasov von der Organisation Transport & Environment, die Teil der Clean Shipping Coalition ist. Deswegen seien nun andere in der Verantwortung – etwa die EU bei der Umsetzung ihres „Green Deals“. Überall auf der Welt müssten jetzt Staaten dort aktiv werden, wo die IMO „vollständig gescheitert“ sei.
Vieles deutet darauf hin, dass die IMO tatsächlich dabei ist, mit ihrer zögerlichen Klimapolitik die eigene Relevanz zu untergraben. Im September hatte das EU-Parlament beschlossen, die Schifffahrt in den europäischen Zertifikatehandel ETS einzubinden – trotz Forderungen aus der Branche, einer globalen Lösung unter dem Dach der IMO den Vorzug zu geben. Seit 20 Jahren diskutiere die Organisation über Maßnahmen zur Senkung der Schiffsemissionen, sagte die Abgeordnete Jutta Paulus in einem Interview mit „Green Shipping News“. Dabei sei „wenig bis gar nichts erreicht worden“.