Der jüngste Klimavorstoß des EU-Parlaments hat in der Schifffahrt viele Gegner. Warum Brüssel keinen anderen Weg sieht, erklärt die Abgeordnete Jutta Paulus im Interview.
Green Shipping News: Das EU-Parlament hat sich für eine Einbindung der Schifffahrt in den Zertifikatehandel ETS ausgesprochen. Wie wahrscheinlich ist es, dass es tatsächlich dazu kommt?
Jutta Paulus: Es wird dazu kommen, früher oder später. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Vizekommissionspräsident Frans Timmermans haben beide mehrfach zugesagt, die Seeschifffahrt in den Emissionshandel aufzunehmen. Auch in der Folgenabschätzung für die Klimaziele 2030 ist diese Option explizit angesprochen. Es bedarf hier auch keiner Einstimmigkeit im Rat, also unter den EU-Mitgliedstaaten, sondern nur einer Mehrheitsentscheidung.
Green Shipping News: In der Branche wird oft argumentiert, das Problem mit den Emissionen der Schifffahrt müsse auf globaler Ebene, also über die Internationale Seeschifffahrts-Organisation IMO gelöst werden. Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?
Jutta Paulus: Seit 20 Jahren diskutiert die IMO darüber. Offensichtlich ist hier wenig bis gar nichts erreicht worden. Und wir haben in allen Belangen des Umweltschutzes – seien es Schwefel-Emissionen, bleifreies Benzin oder Asbestregulierung – immer Vorreiter gebraucht, die zeigen, dass Verbesserungen möglich sind.
Green Shipping News: Ist auch die sogenannte MRV Regulation aus Ihrer Sicht ein Beispiel dafür, dass sich auf globaler Ebene erst dann etwas bewegt, wenn ein größerer Akteur wie die EU voranschreitet?
Jutta Paulus: Genau! Ohne die EU-MRV-Verordnung wäre wahrscheinlich auch hier nichts passiert.
Green Shipping News: Vor einigen Jahren hatte das EU-Parlament schon einmal gefordert, den Emissionshandel auf die Schifffahrt auszuweiten. Was hat sich seitdem geändert? Warum wurde das Thema erneut aufgegriffen?
Jutta Paulus: Damals saß ich noch nicht im Parlament. Meiner Kenntnis nach konnte bei der ETS-Reform damals kein Kompromiss hinsichtlich der Seeschifffahrt erzielt werden. Die Kommission sagte aber zu, das Thema „bei der nächsten Revision der MRV-Verordnung aufzunehmen“. Dieses Versprechen fordern wir nun ein. Und was hat sich geändert? Nicht nur, dass das Pariser Klimaabkommen ratifiziert wurde; der IPCC-Sonderbericht 1,5 °C globale Erwärmung zeigt deutlich, wie dringend der Handlungsbedarf ist. Aber ohne Fridays for Future hätte es bestimmt keinen Green Deal gegeben, zumindest nicht in dieser Form.
Green Shipping News: Das Parlament hat sich gerade auch dafür ausgesprochen, dass Reedereien ihre CO2-Emissionen pro Transportleistung bis 2030 um 40 Prozent reduzieren sollten. Welche Druckmittel hätte die EU, um eine solche Forderung durchzusetzen? Was würde etwa passieren, wenn ein konkretes Unternehmen hinter den Erwartungen zurückbliebe?
Jutta Paulus: Da möchte ich zunächst ein Missverständnis aufklären: Es geht um ein Flotten-Effizienzziel. Für jede Schiffskategorie – Containerschiffe nach Größenklassen, Öltanker nach Größenklassen, Fähren etc. – soll die Kommission auf Basis der verifizierten Daten der Jahre 2018/2019 den Durchschnitt der CO2-Emissionen pro Transportleistung berechnen und als Basislinie festlegen. Jede Reederei muss dann im Jahr 2030 mit ihrer Flotte im Schnitt 40 Prozent unter dem Durchschnitt liegen. Wer heute schon 30 Prozent unter dem Durchschnitt liegt, muss also nicht mehr viel tun. Wer sehr viel ineffizienter fährt, muss investieren – oder langsamer fahren.
Green Shipping News: Wie kann verhindert werden, dass die geplanten Regelungen auf EU-Ebene zu einem „Bürokratiemonster“ werden? Gibt es bereits Ideen, wie eine praktische Umsetzung in möglichst „schlanker“ Form aussehen könnte?
Jutta Paulus: Zum Effizienzziel brauchen wir ja nicht viel. Die Kommission muss die Basislinien veröffentlichen, die Ziele kann dann jeder mit dem Taschenrechner ausrechnen. Da ja die CO2-Emissionen jeder Fahrt, die gefahrenen Seemeilen, die Menge der transportierten Fracht und die verantwortliche Reederei ohnehin im MRV-Register veröffentlicht werden, muss auf Seiten der Kommission nur diese Datenbank ausgewertet werden. Notfalls schreibt ein IT-Experte ein Makro. Das ist wirklich kein Problem.
Green Shipping News: In einer Live-Schaltung zu der Konferenz „Seadevcon ’20“ erwähnten Sie, dass 50 Prozent der Einnahmen aus der Einbindung der Schifffahrt in den Handel mit „Verschmutzungsrechten“ in einen neuen „Ocean Fund“ fließen würden. Was ist mit den anderen 50 Prozent?
Jutta Paulus: Die fließen entweder in den EU-Haushalt oder in die Mitgliedstaaten – um Auswirkungen des Klimawandels zu bekämpfen, Meeresschutzgebiete zu finanzieren und einen fairen Übergang zu klimaneutraler Wirtschaft in den Mitgliedstaaten zu ermöglichen.
Green Shipping News: Welche EU-Länder oder sonstige Akteure sind die größten Gegner der von Ihnen vorangetriebenen Maßnahmen? Wie sieht nun der weitere Ablauf aus – und in welchem Zeitrahmen wird sich das Ganze bewegen?
Jutta Paulus: Der Zeitrahmen wird zunächst durch die deutsche Ratspräsidentschaft gesetzt. Der Rat der Mitgliedstaaten muss zunächst eine gemeinsame Position zu dem vom Parlament verabschiedeten Bericht festlegen. Dann geht es in den Trilog, wo Parlament, Kommission und Rat der Mitgliedstaaten gemeinsam einen Kompromiss finden müssen. Am Ende wird dieser dann in Parlament und Rat umgesetzt – dann kann die Kommission loslegen. Wer sich da wie positioniert, wird sich noch zeigen.
Green Shipping News: Wie ist es zu erklären, dass im Parlament eine so klare, fraktionsübergreifende Mehrheit für eine schärfere Regulierung der Schifffahrt stimmt, von anderer Seite aber offenbar doch mit größerem Widerstand zu rechnen ist?
Jutta Paulus: Dass die Schifffahrt sich dagegen wehrt, reguliert zu werden, ist kein Alleinstellungsmerkmal. Politisch sehe ich diese Widerstände auf der europäischen Ebene zumindest nicht in diesem Maß.
Green Shipping News: Was wäre aus Ihrer Sicht die optimale Lösung? Wie würde der regulatorische Rahmen für die globale Schifffahrt, wenn es nach Ihnen ginge, in zehn Jahren aussehen?
Jutta Paulus: Ist das eine Fangfrage? Um die 1,5°C-Grenze mit 66 Prozent Wahrscheinlichkeit einzuhalten, müsste die ganze Welt (!) bis 2035 bei Null Emissionen sein. Idealerweise gibt es 2030 ein Tempolimit von zehn Knoten auf den Meeren, dann wird Windenergie nämlich ökonomisch wettbewerbsfähig. Und natürlich einen Benchmark-Ansatz für Schadstoffe wie Stickoxide und Feinstaub – für die Schiffe, die noch mit Diesel fahren. Schwerölverbrennung ist bis dahin verboten.