Bis auf Weiteres bleibt die Schifffahrt beim Emissionshandelssystem der EU außen vor. Das soll sich jedoch ändern, wenn bis 2023 keine globale Lösung vorliegt.
Da die Seeschifffahrt ein globales Geschäft ist, sind weltweit gültige Regeln dabei generell sinnvoll. So sieht es auch die Europäische Union. Beim Thema Klimaschutz will Brüssel den Ball deswegen an die International Maritime Organization (IMO) weiterreichen – einem entsprechenden Entwurf hat nach dem Europäischen Rat nun auch der zuständige Ausschuss des EU-Parlaments zugestimmt. Der „Auftrag“ ist allerdings mit einer klaren Frist versehen: Sollte die IMO nicht zeitnah überzeugende Lösungen präsentieren, will Europa ab 2023 doch selbst aktiv werden.
Das entscheidende Wort ist „or“ – also „oder“. Die Europäische Kommission werde die Entwicklungen bei der IMO genau beobachten und dem Parlament sowie dem Rat mindestens einmal im Jahr über die Fortschritte berichten, heißt es im vorläufigen Text zur Reform des Emissionshandelssystems ETS (Emissions Trading System). So solle gesichert werden, dass die maritime Branche mit „ehrgeizigen“ Absichten und flankierenden Maßnahmen in „angemessener Weise“ dazu beitrage, die auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 festgehaltenen Ziele zu erreichen. Ab 2023 seien von der IMO oder der EU geeignete Maßnahmen einzuleiten („Action from the IMO or the EU should start from 2023″).
Auslegung je nach Standpunkt
Der Kompromiss zwischen dem Europäischen Rat und dem EU-Parlament, das sich für eine direkte Aufnahme der Schifffahrt in das ETS ausgesprochen hatte, wird in der Branche überwiegend positiv bewertet. Die Schwerpunkte bei der Deutung des Ergebnisses fallen derweil etwas unterschiedlich aus. Nationale und internationaler Reederverbände begrüßen vor allem die Tatsache, dass die Festlegung von Emissionsregeln wieder in die Hände der IMO gelegt wurde. „Ein regionales System nur für EU-Gewässer hätte nicht nur Wettbewerbsnachteile für die hiesige maritime Wirtschaft bedeutet, sondern eine globale Lösung ernsthaft gefährdet“, sagte der Präsident des Verbands Deutscher Reeder (VDR), Alfred Hartmann.
Die Umweltorganisation Transport & Environment betonte jedoch, dass die Einbindung in das Emissionshandelssystem als Druckmittel bestehen bleibe. Europa können seine Verantwortung für den Klimaschutz nicht unbegrenzt an die IMO auslagern, zumal sich die UN-Agentur wiederholt als unfähig erwiesen habe, den erforderlichen Ehrgeiz aufzubringen, hieß es in einer Stellungnahme. Faig Abbasov, Schifffahrtsexperte der Umweltorganisation, bezeichnete die aktuelle Initiative der EU als ein „deutliches Signal“. „Wenn die IMO scheitert, ist Europa gegenüber seinen Bürgern in der Pflicht dafür zu sorgen, dass alle Branchen zum globalen Klimaschutz beitragen, und dass die Schifffahrt nicht ausgeklammert bleibt“, sagte er.
Auch die Europäische Seehäfenorganisation ESPO hob hervor, dass die Vereinbarung an einen klaren Zeitplan gebunden sei; dass die IMO noch im Jahr 2018 ihre Ziele zur Senkung der CO2-Emissionen vorlegen müsse und spätestens ab 2023 konkrete Maßnahmen ergriffen würden – ob von Seiten der IMO oder von Seiten der EU. „Wir brauchen eine globale Regelung, aber wir brauchen sie rechtzeitig“, sagte ESPO-Generalsekretärin Isabelle Ryckbost. Auf Grundlage der regelmäßigen Berichte der Europäischen Kommission könnten die EU und ihre Mitgliedstaaten Alarm schlagen, wenn sich zeige, dass die Fortschritte bei der IMO nicht ausreichend seien.
Kaperung durch Lobbyisten?
Gerade in den vergangenen Monaten wurde die IMO wegen ihres langsamen Tempos beim Thema Klimaschutz zum Teil heftig kritisiert. Für neuen Zündstoff sorgte unmittelbar vor der diesjährigen UN-Klimakonferenz in Bonn (COP23) ein Bericht der Organisation Influence Map. Darin wurde aufgeführt, wie sehr die IMO unter dem Einfluss von Industrieverbänden steht. Bei der jüngsten Sitzung des zuständigen Ausschusses für den Schutz der Meeresumwelt im Juli 2017 ließen sich demnach 31 der hundert anwesenden Mitgliedsländer direkt von nationalen Reederverbänden, Unternehmen oder Schiffsregistern vertreten.
Die Schifffahrt verursacht derzeit zwei bis drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen – und damit etwa so viel wie ganz Deutschland. Bis 2050 könnte der Anteil laut einer Studie des EU-Parlaments sogar auf 17 Prozent steigen, sofern die Grenzwerte nicht deutlich verschärft werden. Über den Kompromiss zur Reform des ETS wird im Februar 2018 noch im Plenum des Parlaments abgestimmt. Etwa drei Wochen später könnten die neuen Regelungen in Kraft treten.