Treibstoff kostet die Schifffahrt täglich Millionen. Wie sich die Ausgaben drastisch reduzieren lassen, erläutert der Windkraft-Experte Gavin Allwright im Interview.
Ob Hightech-Segel, Zugdrachen oder Flettner-Rotoren – neue Technik macht den Windantrieb für Schiffe wieder attraktiv. Für die maritime Branche, die wegen ihrer umwelt- und klimaschädlichen Emissionen zunehmend unter Druck gerät, könnten diese Entwicklungen ein wichtiger Teil der Lösung sein. Davon ist Gavin Allwright überzeugt. Als Leiter der International Windship Association setzt er sich für die Verbreitung der alternativen Antriebe ein – zuletzt etwa auf der COP23 in Bonn. Im Interview mit „Green Shipping News“ spricht er über Potenziale und Herausforderungen.
Green Shipping News: Sollten aus Rücksicht auf den Klimaschutz bald wieder alle Schiffe ausschließlich Windkraft als Antrieb nutzen?
Gavin Allwright: Die einfache Antwort lautet: “Nein”. Für eine detailliertere Antwort muss man etwas weiter ausholen. Denn in jedem Bereich der Schifffahrt gibt es spezielle Anforderungen, Einsatzprofile und Herausforderungen im Hinblick auf die Nutzung von bestimmten technischen Lösungen.
Fest steht, dass Windantriebe in der Branche bereits in den nächsten fünf bis zehn Jahren stark an Bedeutung gewinnen könnten – sei es in Form von primären Windantrieben mit ergänzenden Hilfsmotoren oder in Form von Systemen, bei denen der Antrieb eines herkömmlichen Motorschiffes durch Windkraft unterstützt wird. Laut einer Studie der EU ließen sich bis zum Jahr 2030 insgesamt 10.700 Containerschiffe, Tanker und Massengutfrachter mit entsprechenden Anlagen ausrüsten.
Bei allen Schiffstypen kann die Nutzung von Windenergie den Treibstoffbedarf ganz erheblich reduzieren – und zwar durch eine geeignete Kombination verschiedener Technologien. Besonders groß ist das Potenzial bei Neubauten, wenn diese von Beginn an genau daraufhin optimiert werden.
Auch bei kleineren Schiffen gibt es viele Möglichkeiten. Und in vielen Regionen der Welt sind gerade in dieser Größenklasse derzeit viele alte Schiffe im Einsatz, die ohnehin bald ersetzt werden müssen. Hier ist das Potenzial für CO2-Einsparungen enorm – auf der “letzten Meile” des Transportwegs, der oft mit kleinen Schiffen erfolgt, sind die Emissionen pro Tonne Ladung meist am höchsten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Windantriebe ein sehr wichtiger Lösungsansatz für die Schifffahrt der Zukunft sind. Bei Umbauten sind Einsparungen von 10 bis 30 Prozent möglich, bei Neubauten sogar von bis zu 50 Prozent. Ein beträchtlicher Teil des derzeitigen Kraftstoffbedarfs lässt sich also durch Windenergie ersetzen – und das bei sehr niedrigen Betriebskosten. Gleichzeitig sinkt natürlich die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Wir sprechen hier von einer bewährten und frei verfügbaren Energiequelle, die nur darauf wartet, angezapft zu werden.
Green Shipping News: Während große Teile der Branche beim Thema “Dekarbonisierung” noch zögern, haben einige Vorreiter auf der UN-Klimakonferenz COP23 in Bonn mit der Initiative “Ambition 1.5°C” ein deutliches Zeichen gesetzt. Was waren die wichtigsten Ergebnisse dieser Veranstaltung?
Gavin Allwright: Auf der “Ambition 1.5°C” wurde ein Aktionsplan dafür aufgestellt, wie die Schifffahrt einen “fairen Beitrag” zum Klimaschutz leisten kann. Aus meiner persönlichen Sicht hat das Treffen vor allem drei Dinge gezeigt. Erstens: Die etwa 150 Teilnehmer – alles führende Experten der Branche – waren sich einig, dass die erforderliche Technik schon verfügbar oder zumindest in einer sehr weit fortgeschrittenen Entwicklungsphase ist. Wir haben also bereits alle Werkzeuge, die wir für den Job brauchen. Es geht nur noch darum, mit dem Werkzeugkasten an Bord der Schiffe zu gehen.
Zweitens: Alle Anwesenden waren sich über die Dringlichkeit ambitionierter Maßnahmen im Klaren. Es gab zwar im Detail durchaus unterschiedliche Ansichten zu geeigneten Zielen hinsichtlich Umfang und Zeitrahmen. Aber die wissenschaftliche Grundlage ist eben eindeutig. Wir müssen die CO2-Emissionen unserer Branche noch in dieser Hälfte des Jahrhunderts effektiv reduzieren. Die Schiffe, die wir heute entwerfen und bauen, werden bereits in einem Umfeld operieren, in dem ein emissionsfreier Betrieb als Maßstab gelten wird – davon sind wir heute noch weit entfernt.
Drittens: Die Veranstaltung hat wichtige Impulse geliefert – mit vielen Ideen und Anregungen sowie einigen konkreten Zusagen bezüglich deren Umsetzung. Die übergreifende Einstellung war dabei die, dass wir uns bewegen müssen; dass wir Potenziale darin sehen, dies jetzt gleich zu tun; und dass Regulierung und politische Beschlüsse erforderlich sind, um einerseits die “First Mover” zu motivieren und andererseits einheitliche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Zugleich ist es wichtig, dass eine “Koalition der Willigen” voranschreitet und sich deren Mitglieder gegenseitig unterstützen.
Green Shipping News: Warum hat die Internationale Seeschifffahrts-Organisation IMO beim Thema Klimaschutz nicht längst schon strengere Vorgaben beschlossen?
Gavin Allwright: Ich denke, dass die IMO zuletzt einige Schritte in die richtige Richtung gemacht hat und nun an einem umfassenden Paket arbeitet, das für ein breites Spektrum internationaler Akteure akzeptabel ist. Das braucht natürlich Zeit, da eine tragfähige Lösung zunächst intensive Verhandlungen erfordert. Aber alle müssen sich auch darüber im Klaren sein, dass uns die Zeit davonläuft. Deswegen muss sich die Branche zusammenreißen und proaktiv handeln. Wir können nicht weitere sieben Jahre warten, bis verbindliche Regeln in Kraft treten. Wir müssen jetzt alle an einem Strang ziehen.
Die IMO hat sich bisher vor allem auf andere Schadstoffe wie Schwefel, Stickoxide und Feinstaub konzentriert. Das war natürlich auch sehr wichtig. Aber die CO2-Emissionen sind schon seit längerer Zeit der “Elefant im Raum” – das offensichtliche Problem, das fast alle zu ignorieren versuchen. Maßnahmen für mehr Effizienz sind wichtig. Und insofern hat etwa die Einführung des Energy Efficiency Design Index (EEDI) ein positives Signal gesendet. Es ist allerdings eindeutig, dass die Richtwerte deutlich verschärft werden müssen – und dass sie allein nicht ausreichen, um eine zügige und durchgreifende “Dekarbonisierung” zu bewirken.
Green Shipping News: Die EU will vorerst auf eine Einbindung der Schifffahrt in das Emissionshandelssystem ETS verzichten. Sonderregeln aus Brüssel sind deswegen aber nicht vom Tisch – sind diese notwendig oder eher kontraproduktiv?
Gavin Allwright: Ich bin auf diesem Gebiet kein Experte und kann das daher nicht im Detail bewerten. Generell wäre es aber wichtig, CO2-Emissionen mit einem Preisschild zu versehen. Das norwegische Modell für den Umgang mit Stickoxiden könnte dabei als Vorbild dienen. Der Ausstoß von CO2 würde dann bepreist und besteuert – das Geld würde in einen Fonds fließen, der einerseits zur Förderung von Projekten zur Emissionsminderung dient und mit dem andererseits vielleicht auch kleinere Unternehmen in einer für sie schwierigen Übergangsphase vorübergehend unterstützt werden könnten.
So weit ich das beurteilen kann, sind regionale Alleingänge oft auch eine Reaktion auf ein langsames oder unzureichendes Vorgehen auf globaler Ebene. So etwas kann manchmal kontraproduktiv sein, manchmal aber auch Entwicklungen entscheidend vorantreiben. In der Vergangenheit haben wir da wohl schon Beispiele für beides gesehen. Der große Fortschritt der letzten 18 Monate ist aus meiner Sicht der, das inzwischen alle in der Branche wissen, dass im Bereich CO2 etwas getan werden muss. Immer mehr Akteuren wird zudem bewusst, dass ein sehr schnelles und ambitioniertes Handeln erforderlich ist. Die Komplexität der Herausforderung lässt Teile der Branche noch immer zögern. Dafür haben wir jetzt aber keine Zeit mehr.
Green Shipping News: Sie haben gerade einige Zeit in Deutschland verbracht – auf der COP23 in Bonn und auf der “Sustainable Shipping 2017” in Bremen. Haben Sie den Eindruck, dass die führenden Vertreter der Branche in Deutschland in Sachen Klimaschutz den richtigen Kurs gesetzt haben?
Gavin Allwright: Schwierige Frage. Ich würde sagen, dass die Akteure in Deutschland und anderswo in Europa sehr viel offener dafür geworden sind, den in der Vergangenheit gesetzten Kurs zu hinterfragen. Gerade die Einstellung gegenüber Windantrieb hat sich in der Schifffahrt deutlich verändert. Es geht nicht mehr um die Frage: “Warum sollten wir uns mit so etwas beschäftigen?” Heute heißt es vielmehr: “Wie können wir das machen?” – und vor allem: “Wie schnell lässt sich das umsetzen?”
Darüber hinaus gibt es ein zunehmendes Verständnis dafür, dass es keine “Einheitslösung” für alle Bereiche der Schifffahrt gibt. Angesichts der äußerst heterogenen Gesamtflotte ist vielmehr eine breite Palette verschiedener Hybridlösungen gefragt. Wir müssen Wege finden, in dieser komplexen Welt zu navigieren – mit intelligenteren und “grüneren” Methoden.
Ein für die Zukunft gewählter Kurs führt aber auch nur dann zum Ziel, wenn Flexibilität und Ausdauer mit Effizienz und Wirtschaftlichkeit verbunden werden. Das wird ein iterativer Prozess sein, bei dem alle Beteiligten durch Kooperation und stetigem Hinzulernen nach geeigneten Lösungen für die gesamte Wertschöpfungskette suchen müssen. Mein Eindruck ist der, dass die führenden Vertreter der Branche sich allmählich darauf einlassen. Und wenn die Entwicklung weiter in diese Richtung geht, bin ich optimistisch, dass wir kommenden Generationen eine Welt hinterlassen können, die mindestens so gut ist wie die, die uns von unseren Vorfahren zur Verwaltung übertragen wurde.
Green Shipping News: Was macht den “guten alten” Windantrieb heute wieder so interessant? Und welches sind die vielversprechendsten Ansätze, die schon in den nächsten paar Jahren in die Praxis umgesetzt werden könnten?
Gavin Allwright: Ich würde zunächst einmal das Wort “alt” in Frage stellen. Denn alle Projekte von Mitgliedern der International Windship Association, die auf einen kommerziellen Einsatz abzielen, nutzen moderne Technologien, Materialien und Systeme. Es handelt sich um automatisierte, integrierte Hybridsysteme, die mithilfe von elektronischen Daten des Schiffes, Wetterrouting-Software und professioneller Ingenieurskunst die Effizienz oder andere Aspekte an Bord optimieren. Daneben gibt es auch einige Projekte, die auf traditionelle Segel setzen. In bestimmten Nischenmärkten und für Logistiknetze mit kleineren Schiffen im Bereich von Inselstaaten oder Entwicklungsländern könnte auch dies künftig wieder wichtiger werden.
Was die Entwicklung antreibt, ist heute vor allem die Notwendigkeit der Emissionsminderung. Die Treibstoffpreise sind derzeit unglaublich niedrig. Das dürfte sich zwar ändern, sobald die weltweiten Schwefelgrenzwerte in Kraft treten oder wenn eines Tages die externen Kosten des CO2-Ausstoßes in Rechnung gestellt werden. Aber im Moment ist der rein finanzielle Druck noch zu gering, um die Einführung neuer Technologien entscheidend zu begünstigen
Die International Windship Association bietet der Wirtschaft und der Politik verlässliche Informationen über die Potenziale des Windantriebs – etwa mit gezielten Kommunikations- und Bildungsprojekten. Inzwischen gibt es darüber hinaus auch komplett unabhängige Expertise und Angebote zur Verifizierung durch Dritte. Das hilft der Branche nicht nur bei der Bewertung der einzelnen Technologien, sondern ermöglicht auch eine Zertifizierung und Klassifizierung von Entwürfen. Wichtig sind zunächst einmal Demonstrationsprojekte – und einige solche werden schon bald auf den Meeren unterwegs sein. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Systeme sich noch schneller auf dem allgemeinen Markt durchsetzen.
Was den zweiten Teil der Frage angeht: Zu den wichtigsten Prinzipien der International Windship Association zählt, dass wir nicht eine bestimmte Technologie anpreisen, sondern uns ganz generell für die Nutzung der Windenergie in der Schifffahrt einsetzen. Aber wir erwarten innerhalb der nächsten zwölf Monate eine ganze Reihe von konkreten Projektankündigungen – viele Systeme stehen gerade kurz vor dem ersten praktischen Einsatz an Bord eines Schiffes. Einige der größten Unternehmen der Branche – aber auch externe Akteure – bringen sich in Position, um auf diesem Markt mitzumischen: Mitsui OSK Lines, Maersk, Viking Lines, Google, Rolls Royce, Tata Steel und Cosco – um nur ein paar wenige zu nennen. Sie alle wollen Windantriebe auf eigenen Schiffen nutzen oder sind aktiv an der Entwicklung oder Erprobung entsprechender Systeme beteiligt.
(Aus dem Englischen übersetzt)